US-Schuldenkrise: Impeachment „To be, or not to be, that is the question“

Gastartikel von Sandro Valecchi

„Niemand kann mit Sicherheit sagen, dass ein Zahlungsausfall der USA keine Katastrophe auslösen würde“, warnte der Vorstandschef des zweitgrößten US-Geldhauses JP Morgan Chase, Dimon, unmittelbar nach der Verkündung der jüngsten Quartalszahlen der Bank. In einem Brandbrief drängten 470 hochrangige Führungskräfte aus der Wirtschaft und Industrie zum Handeln.

Für die Finanzanalysten steht fest: Eine Einigung muss bis 22. Juli spätestens zustande gekommen sein, damit das Zeitfenster zur Verabschiedung des Gesetzes bis zum 2. August ausreicht und eine Zahlungsunfähigkeit der US-Regierung vermieden werden kann. Sollte es bis zum 2. August keine Einigung über eine Erhöhung der Schuldenobergrenze von derzeit 14,3 Billionen USD geben, seien die Zahlungen für Millionen Rentner, Veteranen und Sozialhilfeempfänger in Gefahr. „Wenn wir keine Lösung finden, kann ich nicht garantieren, dass diese Schecks am 3. August rausgehen. Es könnte sein, dass einfach kein Geld dafür in den Kassen ist“, sagte Obama dem TV-Sender CBS.

Die Verhandlungen gestalten sich deshalb so schwierig, weil es im US-Kongress eine politische Pattsituation gibt. Die republikanische Partei hat die Mehrheit im Repräsentantenhaus, während hingegen im US-Senat die Demokraten die Mehrheit stellen. Diese Schuldenfalle gibt US-Präsidenten Obama mittlerweile kaum Handlungsoptionen:

  • Eingeschränkte Vollmacht: Der Fraktionsführer der republikanischen Partei im US-Senat, Mitch McConnell, stellte dem US-Präsidenten in Aussicht, das Parlament könne seine Einwilligung zur Erteilung einer beschränkten Vollmacht erteilen, die es dem Präsidenten erlaube, das Schuldenlimit zeitweise zu erhöhen, selbst wenn ohne das Parlament zuvor keinen Beschluss für Einsparungen erlassen hat. Damit wäre der Präsident vom politischen Willen der Opposition abhängig und in seinem Amt sowie in seiner Glaubwürdigkeit beschädigt. Das eigentliche Problem, die Staatsverschuldung, wäre nur aufgeschoben.

  • Der Präsidialerlass: US-Präsident Obama hat in seiner Administration zwischenzeitlich prüfen lassen, ob er selbst am 02. August mit einem Präsidialerlass die Schuldenobergrenze anheben kann. Den Kongress hätte er damit umgangen. Obama braucht die Zustimmung des Kongresses zur Anhebung der Verschuldungsgrenze. Damit macht sich Präsident Obama wegen Verletzung der Rechte des Kongresses verfassungsrechtlich und politisch angreifbar. Ein Amtsenthebungsverfahren könnte von den Republikanern beantragt werden. Das Amts-enthebungs- oder Impeachment-Verfahren stellt einen traditionellen Bestandteil des präsidentiellen Regierungssystems dar, in dem es keine Wahl und Abwahl der Exekutivmitglieder durch das Parlament gibt.

Eine Anklage wegen Amtsvergehen (impeachment) ist ein in der Verfassung der Vereinigten Staaten (Artikel II, Abschnitt 4) zugelassenes Verfahren zur Amtsenthebung des Präsidenten. Der hierfür erforderliche Vorwurf, „andere schwere Verbrechen und Vergehen“ (other high crimes and misdemeanors), ist nicht eindeutig definiert und somit geeignet, der Opposition als oftmals willkommenes Hilfsmittel für politische Attacken gegen den Präsidenten zu dienen. Bereits 1868 gab es gegen Andrew Johnson wegen Missachtung der Rechte des Kongresses ein Impeachment-Verfahren. 1974 kam Richard Nixon wegen der Watergate-Affäre dem Abschluss des Impeachment-Verfahrens durch Rücktritt zuvor. 1999 scheiterte das Impeachment-Verfahren gegen Bill Clinton wegen Meineids und Behinderung der Justiz im Zuge der Lewinsky-Affäre.

Das Repräsentantenhaus, in dem die Republikaner die Mehrheit stellen, trifft mit einfacher Mehrheit die Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens. Die Einleitung eines Impeachment-Verfahrens gegen Präsident Obama ist deshalb tatsächlich möglich. Allerdings zeichnet sich derzeit im US-Senat, in dem die Demokraten die Mehrheit stellen, keine für die zur Amtsenthebung erforderliche Zweidrittelmehrheit ab.

  • Patriot Act Gesetzespaket: Präsident Obama könnte sich auf den „Patriot Act“ ein Gesetzespaket mit Präventions- und Handlungsoptionen zur Gefahrenabwehr vom 26. Oktober 2001 berufen, das vom 107. US-Kongress der Vereinigten Staaten verabschiedet und vom damaligen republikanischen Präsidenten George W. Bush eingebracht wurde. Dieses Gesetzespaket gestattet Eingriffsermächtigungen außerhalb eines Verteidigungszustandes oder Verfassungsnotstandes, gilt also in zivilen Zeiten und dient dem Schutz der Nationalen Sicherheit. Der „Patriot Act“ sieht unter anderem auch eine Erweiterung der Befugnisse für das Secretary oft the Treasury vor, um „finanzielle Transaktionen zu regeln.“ Diese Rechtsgrundlagen sind abstrakt abgefasst und eröffnen Gestaltungsspielräume, insbesondere, weil es keine relevanten Supreme Court (Obersten Gerichtshof) Fälle gibt, die dem entgegenstehen könnten. Zur Gefahrenabwehr eines nationalen Notstandes und zur Vermeidung eines Handlungsstillstandes der Vereinigten Staaten infolge eines totalen Zahlungsausfalls könnte Präsident Obama damit die Schuldenobergrenze anheben, ohne dass ihm die Republikaner eine Verletzung der Verfassung vorwerfen könnten. Am 26. Mai 2011 hatte Präsident Obama kurz vor der Mitternacht nach einer kontroversen Debatte eine 4-Jahres-Verlängerung von zentralen Bestimmungen des USA Patriot Act verfügt.

Mit der Anhebung der Schuldenobergrenze sind die Haushaltsprobleme nicht gelöst. Die mithin schwerste Folge ist der Verlust des bisherigen Top-Ratings der Vereinigten Staaten. Die Rating-Agentur Moody’s begründete diesen Schritt damit, dass die USA nicht rechtzeitig die Haushalts- und Schuldenproblematik behoben haben und ihre Anleihen in Verzug geraten. Dem Warnschuss, sagen Finanzexperten, kann binnen zwei oder drei Wochen die tatsächliche Herabstufung folgen. Auch US-Finanzminister Timothy Geithner warnt vor katastrophalen Folgen. Die anderen Rating-Agenturen drohten ebenfalls mit den Konsequenzen einer Herabstufung.

Fed-Chairman Ben Bernanke in seiner halbjährlichen Anhörung im Kongress vor einem „finanziellen Desaster“ gewarnt, falls die US-Regierung mit Zinsleistungen auf ihre Schuldpapiere in Verzug gerate. Bis hin zur Investorenlegende Jim Rogers wurden die ohnehin festgefahrenen Spargespräche den ganzen Tag über zusätzlich mit apokalyptischen Warnungen belastet. Der angesehene Rogers erklärte, die USA gingen auf die „ein oder andere Weise sowieso pleite“, die Verhandlungen in Washington seien eine einzige „Heuchelei“. Nach Angaben der „Washington Post“ soll ein neuer Kompromissvorschlag vorsehen, dass die Schuldengrenze im kommenden Jahr in drei Etappen um 2,5 Billionen Dollar (1,77 Billionen Euro) angehoben wird. Zugleich sollen in den kommenden 10 Jahren Ausgabenkürzungen um 1,5 Billionen Dollar zur Haushaltssanierung beitragen.

„Für US-Präsident Obama und seine Administration heißt es jetzt in einem ergebnisoffenen, dramaturgisch nicht mehr zu übertreffenden Showdown bis zum 02. August 2011: „Sein oder Nichtsein“, meint der Finanzanalyst Sandro Valecchi.


Der Autor war an der NYSE (Börse in New York) und Gaststudent in Chicago, kennt daher die USA und die Mechanismen der Finanz- und Fiskalpolitik im Regierungssystem der Vereinigten Staaten. Der Beitrag ist sachneutral und richtet sich keine keine Person, Persönlichkeit oder Staaten. Es ist die Aufgabe von Finanzanalysten vor ein Eintritt eines Ereignisses (Szenario) mit Wechselwirkung von Finanz, – Fikal- und Wirtschaftspolitik Entscheidern aus Unternehmen, Banken und Institutionen frei zu benennen bzw. aufzuzeigen, was passieren kann, wenn eine bereits eingetretene Entwicklung ihren Fortgang nimmt.

2 Gedanken zu „US-Schuldenkrise: Impeachment „To be, or not to be, that is the question““

  1. „Der Kurzsichtige ist selbstsüchtig, der Weitsichtige wird in der Regel bald einsehen, dass im Gedeihen des Ganzen der eigene Nutz am besten verankert ist.“

    Silvio Gesell (Vorwort zur 3. Auflage der NWO, 1918)

    Aufgrund einer seit jeher fehlerhaften Geld- und Bodenordnung gibt es keine wie auch immer geartete Finanz- oder Wirtschaftspolitik, um die größte anzunehmende Katastrophe der Weltkulturgeschichte (globale Liquiditätsfalle nach J. M. Keynes, klassisch: Armageddon) abzuwenden. Heute, unmittelbar vor der Katastrophe, wird sie von den Kurzsichtigen noch immer nicht gesehen, weil sie – unabhängig vom so genannten Glauben – in einer kollektiven Wahnvorstellung existieren. Die Antwort auf die „Finanzkrise“ erhielt ich im Dezember 2002:

    „God said ‚Cancel Program GENESIS‘. The universe ceased to exist.“

    Diese „letzten 10 Worte“ übergab mir Sir Arthur Charles Clarke (1917 – 2008) nach seinem 85. Geburtstag mit der beiläufigen Bemerkung: „First you must cancel this useless program, my son. I’m too old for that.“ Den Rest der Dreiviertelstunde amüsierten wir uns über die Dummheiten Politik und Religion, bis Arthur die Unterhaltung beenden musste, weil das Lachen ihm aufgrund seiner schweren Krankheit zu starke Schmerzen verursachte.

    Wer aus einem Irrenhaus, in dem naive Sparer „großer Investor“ spielen, „Spitzenpolitiker“ und „Wirtschaftsexperten“ die „banalsten Selbstverständlichkeiten“ nicht verstehen, „Geistliche“ den Propheten Jesus von Nazareth für einen moralisierenden Wanderprediger halten und die Ärmsten der Armen glauben, NWO müsse „Neue Weltordnung“ und nicht Natürliche Wirtschaftsordnung bedeuten, eine Zivilisation machen will, muss nicht nur die Makroökonomie erklären können, sondern zuerst die Religion wegerklären. Nur ein außergewöhnliches Genie wie Silvio Gesell konnte die einzige Möglichkeit des zivilisierten Zusammenlebens verstehen, ohne die Religion verstanden zu haben!

    Der „liebe Gott“ der geistig Toten ist von außen betrachtet ein künstlicher Archetyp im kollektiv Unbewussten, der es der halbwegs zivilisierten Menschheit im Programm Genesis unmöglich macht, zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus zu unterscheiden – die Grundvoraussetzung des Denkens, sofern es das menschliche Zusammenleben im weitesten Sinne betrifft:

    http://opium-des-volkes.blogspot.com/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html

  2. Obama läuft die Zeit weg. Der 22. Juli 2011 war „Deadline“ für ein Gesetzespakt. Jetzt kann US-Präsident Obama nur noch mit einem Präsidialerlass die Schuldenobergrenze anheben, um am 02.August 2011 die Zahlungsunfähigkeit der USA abzuwenden. Damit verletzt er zugleich die verfassungsmässigen Rechte des US-Kongress (Parlament).Der US-Kongress wird die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens (Impeachment) gegen US-Präsident Obama beantragen. Ich gehe davon aus, dass Obama die Abgeordneten seiner demokratischen Partei in der gestrigen Sitzung, 24.07.2011,bereits darauf eingeschworen hat, zumal dieses „Briefing“ ohne die Republikaner erfolgte. Die Zahlungsunfähigkeit der USA hat er zwar damit abgewendet. Sein politisches Schicksal liegt nun in den Händen der Abgeordneten des Parlamentes.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert